Kardinal König Stiftung unterstützt internationale Tagung in Salzburg
Der Situation der Christinnen und Christen im Irak war die diesjährige Jahrestagung (16./17. September) der „Initiative Christlicher Orient“ gewidmet, die gemeinsam mit der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion und heuer erstmals auch mit der Kardinal-König-Stiftung und dem Andreas Petrus-Werk veranstaltet wurde. Der Tenor der Tagung: Auch wenn es aktuell keine konkrete Bedrohung für die christlichen Gemeinschaften im Land gibt, lebt diese mit einem latenten Unsicherheitsgefühl. Umso notwendiger sind die Hilfe und Solidarität des Westens, damit die Christen in ihrer Heimat bleiben können.
Ein Schwerpunkt der Tagung lag auf der Autonomen Region Kurdistan im Nordosten des Landes. Die Autonome Region Kurdistan bemüht sich nach Kräften, für die christlichen Gemeinschaften ein sicherer Hafen zu sein. Die Christinnen und Christen würden als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft gesehen, so Ano Jahwar Abdoka, der einzige christliche Minister in der Regierung der Autonomen Region. Für ihn sei Kurdistan der sicherste Ort für Christen im Nahen Osten, so Abdoka. Nichtsdestotrotz bräuchten die Christinnen und Christen mehr Unterstützung und Solidarität aus dem Westen.
Der aus dem Irak für die Tagung nach Salzburg gekommene Politiker hielt am Montagabend den Hauptvortrag.
Lebten bis 2003, als Saddam Hussein von den USA und ihren Verbündeten gestürzt wurde, noch bis zu 1,5 Millionen Christinnen und Christen im Irak, so sind es heute auch nach den optimistischsten Schätzungen nicht mehr als 400.000. 90 Prozent davon leben im Nordirak in Kurdistan oder der westlich davon gelegenen Ninive-Ebene. In der irakischen Hauptstadt Bagdad sollen noch 40.000 Christinnen und Christen leben, vielleicht auch ein wenig mehr. Genau Zahlen gebe es nicht, mussten alle Experten, die bei der Tagung referierten, eingestehen.
Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner verwies in seinem Grußwort bei der Tagung auf die biblische Geschichte des Irak bzw. des Zweistromlandes. Es sei eigentlich tragisch, so Lackner, dass der Westen vom Irak nur ein Bild von Instabilität, Willkür und Terror habe. Der kulturelle, geschichtliche und religiöse Reichtum des Landes werde ausgeblendet. "Wir übersehen als Gesellschaft, dass der Irak seit den frühesten Tagen des Christentums altehrwürdige Heimat der Kirche ist", so Lackner wörtlich und weiter: "Wir übersehen die unzähligen Opfer und Märtyrer der Christen in dieser Region. Diese Opferbereitschaft der Christen im Irak erfüllt uns mit großer Demut." Es sei daher sehr zu begrüßen, dass sich die heurige ICO-Tagung mit dem Irak einer "für unsere globale christliche Identität so wichtigen Region" widme, sagte der Salzburger Erzbischof.
Die Kardinal-König-Stiftung und der Irak
Stiftungsrat Georg Pulling von der Kardinal-König-Stiftung erinnerte in seinem Grußwort an die Verbindungen der Stiftung mit dem Irak. 2016 wurde dem chaldäischen Patriarchen Louis Sako der Kardinal König-Preis zuerkannt. Das Kirchenoberhaupt wollte diesen aber vor Ort in seinem Heimatland Irak entgegennehmen. Im Februar 2017 reiste eine Delegation unter Leitugn des Präsidenten der Stiftung, Bischof Manfred Scheuer, zur Preisübergabe in den Irak.
Gemeinsam mit Patriarch Sako besuchte die Delegation christliche Dörfer in der Ninive-Ebene, die erst wenige Wochen zuvor vom IS zurückerobert worden waren. Das Ausmaß der Zerstörung war unvorstellbar. Die Stiftung wollte in Folge zumindest einen kleinen symbolischen Beitrag zum Wiedeaufbau der Region leisten. Auf Wunsch von Patriarch Sako gab man den finanziellen Startschuss zum Bau einer neuen Kirche in der kleinen Ortschaft Baquofa. Die alte Kirche war auch aufgrund der Kämofe vor Ort in einem desolaten Zustand.
Die Stiftung konnte 50.000 Euro aufbringen. Auch die ICO, die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände und das Hilfswerk Christen in Not beteiligten sich an der Aktion. Inzwischen ist die Kirche auch dank weiterer Spender fertig und ein Symbol für die Lebendigkeit des bedrängten Christentums im Irak. Zugleich symbolisiert die Kirche auch die notwendige Solidarität der Christen im Westen mit ihren Glaubensgeschwistern im Orient.
Verfolgung und Schutz
Schon lange vor dem Aufkommen der Terrororganisation IS war die Lage für die christliche Minderheit schwierig, führte Minister Abdoka in seinem Vortrag aus. Zwischen 2004 und 2012 wurden weit mehr als 1.000 Christinnen und Christen wegen ihres Glaubens von islamistischen Fundamentalisten ermordet; darunter im Jahr 2008 auch zahlreiche Geistliche, an erster Stelle der chaldäische Bischof von Mosul, Paulos Faraj Rahho. Dazu seien auch weit über 100 Kirchen zerstört oder entweiht worden.
Von den weit über 100.000 Christinnen und Christen, die dann 2014 vor dem IS aus Mosul und der angrenzenden Ninive-Ebene fliehen mussten, sei bislang gerade einmal ein Drittel zurückgekehrt. Ein Drittel lebe in der Region Kurdistan, ein Drittel sei ausgewandert.
Dass Kurdistan für die christlichen Gemeinschaften ein sicherer Hafen sei, belegte Minister Abdoka u.a. mit folgenden Zahlen: Die christliche Kleinstadt Ankawa, eine Nachbarstadt der Metropole Erbil, hatte 2003 rund 22.000 christliche Einwohner und es gab drei Kirchen. Inzwischen hat die Stadt 75.000 Einwohner und 17 Kirchen. Die kurdische Regierung garantiere, dass auch die wichtigen Verwaltungsämter in der Stadt, vom Bürgermeister angefangen, von Christen besetzt sind. Zudem würden Wohnungen für junge Paare gefördert. Abdo: "Ankawa ist die größte rein christliche Stadt im Nahen Osten." Und es sei die einzige Stadt im Nahen Osten, in die mehr autochthone Christen zuziehen als wegziehen würden.
Im Parlament der kurdischen Autonomieregion gebe es einige für Christen reservierte Sitze, dazu wurde u.a. auch eine eigene Behörde für die Angelegenheiten der Christinnen und Christen geschaffen. Es gebe zudem auch 50 staatliche aramäisch-sprachige Schulen, die von knapp 6.700 christlichen Kindern besucht werden. Die Christen seien auch insofern gut in Kurdistan integriert, als es einige tausend Männer gebe, die bei den kurdischen Peshmerga-Truppen oder weiteren Sicherheitskräften dienten.
Der Minister wies darauf hin, dass es im Nordirak auch noch einige kleine christliche Milizen gibt, diese hätten aber wenig Bedeutung. Die Christen als eigenen Gruppen hätten keine militärische Stärke.
Die komplexe politische und gesellschaftliche Situation in Kurdistan wurde auch dadurch deutlich, dass es elf christliche politische Parteien gibt, wie Abdoka erläuterte – möglicherweise der Vielfalt ein wenig zu viel, musste der Politiker auf Nachfrage einräumen. Abdoka ist auch Präsident der Christlichen Allianz, eines Zusammenschlusses verschiedener christlicher Parteien und Organisationen. Seinen Abendvortrag eröffnete der Politiker mit einer Einladung zum gemeinsamen Vater Unser-Gebet.
Am Rande der Tagung berichtete Abdoka von politischen Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung in Bagdad - etwa, wenn es darum geht, dass man in Kurdistan ein irakisches Gesetz, das Alkohol verbietet, nicht umsetzt - oder auch von der immer noch bestehenden Gefahr des IS. Die Terrormiliz sei derzeit als Organisation keine große Gefahr, doch die Ideologie sei immer noch weit verbreitet, so der christliche Politiker, der 2016/17 bei den Peshmerga diente, die den IS bekämpften. Es brauche einen starken militärischen Sicherheitsapparat, genauso wichtig sei freilich Bildung und Aufklärung, um der Ideologie des IS beizukommen, so Abdoka.
Zukunft für die Christen
Der Österreichische Politikwissenschaftler und Irak-Experte Thomas Schmidinger zeigte sich im Interview am Rande der Tagung grundsätzlich optimistisch, dass die christlichen Gemeinschaften im Irak eine Zukunft haben. Zentrale Voraussetzung dafür sei freilich Stabilität im Land. Die Sicherheitslage bzw. auch die politische Lage sei komplex und wechselhaft. Derzeit sei es beispielsweise in der irakischen Hauptstadt Bagdad sehr sicher, dafür aber nicht im Nordirak in der Grenzregion zur Türkei. Die Türkei gehe dort verstärkt militärisch gegen die PKK vor. Das türkische Militär betreibe nicht nur zahlreiche Militärstützpunkte im Nordirak, sondern arbeite seit einigen Monaten in einigen Gebieten auch mit Straßensperren. Für die örtliche Bevölkerung in den teils christlichen Dörfern sei das natürlich eine immense Belastung, so Schmidinger, der derzeit in der nordirakischen Stadt Erbil forscht und lehrt.
Die Autonomie Kurdistans werde im Irak nicht grundsätzlich infrage gestellt, so Schmidinger weiter, Kurdistan werde aber künftig stärker mit der irakischen Zentralregierung zusammenarbeiten müssen, zeigte er sich überzeugt.
Sicherheitsfrage entscheidend
Der deutsche Irak-Experte David Müller bezeichnete in seinem Vortrag bei der Tagung die Sicherheitsfrage als die entscheidendste für die Zukunft der Minderheiten im Land. Vor allem seit 2011 sei das Land politisch fragmentiert, es gebe keine stabilen Regierungen, in das Machtvakuum würden zahlreiche Milizen drängen, die teils auch aus dem Ausland gesteuert würden.
Weiter große Probleme ortete der Experte in der grassierenden Korruption und dem traditionellen Patronagesystem, wonach Ämter und Jobs nach politischen Loyalitäten bzw. Großfamilienzugehörigkeit vergeben würden und nicht nach Qualifikationen. Das schwäche das Land natürlich, die Arbeitslosigkeit sei hoch, zudem sei man wirtschaftlich fast ausschließlich von Ölexporten abhängig. Der Irak müsse dringend Klein- und Mittelbetriebe etablieren, so Müller, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dazu brauche es freilich einen Mentalitätswandel, würden die allermeisten Menschen doch nur in die öffentliche Verwaltung drängen. Auch in die Landwirtschaft und den (religiösen) Tourismus müsste wesentlich mehr investiert werden, so Müller. Es brauche wohl auch Hilfe von außen für kleine regionale Initiativen, mit denen die Wirtschaft angekurbelt werden kann. Müller würdigte in diesem Zusammenhang die ICO, die auch in diesem Bereich einige kleinere Projekte im Nordirak unterstützt.
"Irak - Quo vadis?"
Die Tagung im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil stand unter dem Generalthema "Irak - Quo vadis?" Eröffnet wurde die Tagung vom Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, der 2023 mit einer ICO-Delegation den Nordirak bereist hatte. Glettler erinnerte in seinem Grußwort an viele herzliche Begegnungen und beeindruckende Glaubenszeugnisse der irakischen Christinnen und Christen. Zugleich sei es ernüchternd gewesen, Details über die schwierige Situation der Minderheiten vor Ort, egal ob Christen oder etwa Jesiden, zu erfahren.
Besonders die Minderheiten hätten ein schweres Schicksal zu tragen. Viele würden keine adäquaten Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten vor Ort vorfinden und deshalb auswandern. Damit vollziehe sich schleichend ein "enormer Kulturverlust und eine geistige Verarmung der Region, wo doch das Christentum eine nahezu 2.000-jährige Geschichte hat". Vor allem werde der Verlust im Bildungsbereich und bei der Bewältigung der vielen sozialen Aufgaben zu spüren sein, warnte Glettler.
Nachhaltig beeindruckt habe ihn der Besuch im Flüchtlingscamp Dawidiya, in dem noch 3.500 Jesidinnen und Jesiden untergebracht sind: "Viele von ihnen, vor allem Frauen und Kinder, sind schwer traumatisiert." Leider fehle es an internationaler Unterstützung. Er sei deshalb der ICO dankbar, "dass diese besondere Minderheit bei den diversen Hilfsinitiativen nicht vergessen wird", so der Innsbrucker Bischof.
Im Blick auf die Christinnen und Christen im Nahen Osten stehe auch die Kirche im Westen aus dem Prüfstand. Es brauche über Grenzen hinaus glaubwürdige Weggemeinschaften, so Bischof Glettler. Er würde sich auch wünschen, dass Pfarren in Österreich Partnerschaften mit Pfarren im Irak eingehen.
ICO-Obmann Slawomir Dadas plädierte in seiner Begrüßung ebenfalls für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Nahen Osten. "Dauert es noch lange, bis die europäischen Politiker und Banken verstehen, dass Spenden für diese Region nicht der Finanzierung des Terrorismus dienen, sondern humanitäre und seelsorgliche Hilfe für Menschen in Not vor Ort ermöglichen und dem Aufbau einer friedlichen Gesellschaft dienen?", so Dadas.
Betroffen zeigte sich der ICO-Obmann, dass drei Referenten aus dem Nordirak nicht zur Tagung kommen konnten, da sie keine Visa der österreichischen Behörden bekamen. Ein Generalverdacht gegen die gesamte Region und ihre Bewohner sei fehl am Platz. Es brauche eine fundierte und differenzierte Auseinandersetzung, sagte Dadas. Diesem Ziel diene auch die diesjährige Tagung.
Ein weiterer Vortragender war P. Jens Petzold. Der Mönch lebt in der nordirakischen Stadt Sulaimaniyya und hat dort das örtliche Marienkloster revitalisiert. Berichte aus der Arbeit der ICO in den Ländern des Nahen Ostens sowie Gottesdienste rundeten das Programm ab. Die Tagung wurde auch vom Andreas-Petrus-Werk und der Kardinal-König-Stiftung unterstützt.