Patriarch Athenagoras, Kardinal König und die Anathemen von 1054
Wenn man den Tagungsraum im Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen betritt, so fällt auf, dass dieser von der großen Versöhnungs-Ikone, die Petrus und Andreas sich umarmend darstellt, dominiert wird. Es ist ein Geschenk von Patriarch Athenagoras an Papst Paul VI. Am Abend des 5. Jänner 1964 kam es zum bedeutsamen Treffen zwischen den beiden Kirchenoberhäuptern. Diese historische Begegnung ebnete den Weg zu einem der wichtigsten ökumenischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, das während des Abschlussgottesdienst in St. Peter am 7. Dezember 1965 stattfand.
Papst und Patriarch verkündeten zur selben Stunde in Rom und in der St. Georgskathedrale in Konstantinopel die wechselseitigen Exkommunikationen "aus dem Gedächtnis und der Mitte der Kirche getilgt", wie es in der zeitgleich verlesenen Gemeinsamen Erklärung von Athenagoras und Paul VI. heißt. Damit waren die Voraussetzungen für einen zukünftigen offiziellen theologischen Dialog zwischen Orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche gegeben, der schließlich am 30. November 1979 vom Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I von Konstantinopel und Papst Johannes Paul II angekündigt wurde.
Damals, bei der Aufhebung der Exkommunikationen, als der Abgesandte des Ökumenischen Patriarchen, Metropolit Meliton, die Stufen des Bernini-Altares in St. Peter hinaufstieg, um den Papst zu umarmen,"erhob sich", so erinnert sich Kardinal König, "ein so starker und brausender Applaus, wie er in dieser Kirche kaum einmal zu hören war ... Es war ein historisches Ereignis, das weit über den kirchlichen Raum hinausreichte. Es war ein ökumenischer Gestus, der die Weichen für die Zukunft neu stellen sollte." (1)
Wie kam es dazu? Was hat Kardinal König damit zu tun? Und warum gehörte gerade er zu jener kleinen Gruppe, die zu diesem historischen Zeitpunkt am Papstaltar stand?
Die diesbezügliche Literatur berichtet, dass Papst Johannes XXIII. Kardinal König im Jahr 1961 nach Konstantinopel entsandte: König besuchte den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras an seinem Sitz im Phanar, und somit als erster römisch-katholischer Kardinal der Neuzeit.
Dass Kardinal König zu dieser Zeit schon länger mit Patriarch Athenagoras in Kontakt war, findet man nicht in historischen ökumenischen Studien. Auch erwähnte Kardinal König dies in späteren Interviews nie.
De facto gibt es keine wirkliche "päpstliche Entsendung". Vielmehr - so die These dieses Vortrags - wird man sagen können, dass Kardinal König Eigeninitiative ergriff und sich der Unterstützung Papst Johannes XIII. versicherte.
Das Zustandekommen des Besuchs und die Beziehung des Wiener Kardinals zum Ökumenischen Patriarchen konnte ich aus Quellen im Kardinal-König-Archiv Wien erschließen und rekonstruieren. (2) Mir zeigt dies folgendermaßen, und ich ersuche Sie mir nun zu folgen.
Der Besuch im Phanar
Am 19. Juli 1961 erhielt Kardinal König ein Telegramm von einer Gruppe aus dem Wiener Schottengymnasium, die in Istanbul weilte und auch Patriarch Athenagoras besuchte, welcher "besondere Grüße an Kardinal König" übermitteln ließ. Zu diesem Zeitpunkt kannten sich die beiden noch nicht persönlich, jedoch reagierte der Kardinal sofort und schrieb an den Ökumenischen Patriarchen. Er bedankte sich nicht nur aufrichtig für die Grüße, sondern erwähnt ebenso nebenbei, dass er gerne einmal den Berg Athos besichtigen und danach - mit der Erlaubnis des Ökumenischen Patriarchen - diesem einen Besuch in Istanbul abstatten möchte. (3)
Franz König ergriff also die Initiative, privat und informell, und wollte bereits zur damaligen Zeit, als römischer Kardinal, das Zentrum des orthodoxen Mönchtums bereisen und Athenagoras treffen. Zu Istanbul hat die österreichische katholische Kirche überdies durch das seit dem 19. Jahrhundert von österreichischen Lazaristen und Barmherzigen Schwestern geleitete St. Georgs Kolleg einen guten Kontakt und Bezugspunkt.
Nur wenige Tage später antwortete Patriarch Athenagoras mit einem Schreiben, das der damalige orthodoxe Bischof in Wien, Dr. Chrysostomos Tsiter, persönlich übermittelte. (4) Ein Ausdruck der bereits damals außergewöhnlich positiven ökumenischen Atmosphäre Wiens. Patriarch Athenagoras sagte für einen Athos-Besuch Königs seine volle Unterstützung zu und lud ihn als Gast nach Konstantinopel ein.
Dass sich ein römischer Kardinal für einen Besuch auf den Berg Athos interessierte, war für die orthodoxe Kirche durchaus so bemerkenswert, dass es zu einer diesbezüglichen Meldung im Wochenblatt des Ökumenischen Patriarchats kam.
Im Oktober 1961 schrieb Franz König an Patriarch Athenagoras, dass er sich nun überlege, wie er diese "freundliche und ehrenhafte Einladung" nachkommen könne. Er erwähnt, dass er Anfang November nach Rom reisen werde, und von dort "habe ich eine gewisse Hoffnung, dass es mir möglich sein wird, einen Privatbesuch in Konstantinopel abstatten zu können." (5)
Dies zeigt sehr schön den feinen Stil und die bedachte Vorgangsweise Franz Königs in ökumenischen Belangen, die auch für sein späteres gesamtkirchliches ökumenisches Wirken signifikant waren. Er nahm sich auch in späterer Zeit immer wieder die Freiheit, eigenständig ökumenische Akzente zu setzen. Wo es ihm in bischöflicher Eigenverantwortung als richtig erschien, schuf er auf inoffizieller Ebene ökumenische Geflechte, stellte Voraussetzungen für persönliche Vertrauensbildungen her und förderte Möglichkeiten des theologischen Austauschs. Wo es ihm nach seiner Einschätzung geraten erschien, stimmte Kardinal König dies auch mit den offiziellen Stellen im Vatikan ab. Wobei er es vorzog sich an den Papst direkt zu wenden (und nicht einfachhin an einen vatikanischen Kurienmitarbeiter).
Anfang November 1961 fand die zweite Sitzung der Zentralkommission für die Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom statt, dessen Mitglied Kardinal König war. In dieser Zeit hatte er bei Johannes XXIII. auch eine Audienz mit einer österreichischen Pilgergruppe, in deren Rahmen er mit dem Papst sein Vorhaben, nach Istanbul zu reisen, besprach. In diesem Kontext begrüßte dieser die Initiative Königs und meinte, Kardinal König solle "doch gleich von Rom aus nach Istanbul fahren." - Eine päpstliche Entsendung sieht anders aus.
Am Sonntag, 26. November 1961, kam Kardinal König, begleitet von seinem Sekretär, Johannes Nedbal, also direkt aus Rom in Istanbul an und besuchte die Lazaristen im St. Georgs-Kolleg. Am Tag darauf kommt es zur Begegnung im Phanar über die Kardinal König berichtete:
"Der Patriarch empfing mich mit großer Herzlichkeit. ... Ich verbrachte drei Tage in Gesellschaft dieses durch seine Intelligenz und seinen Glauben so bemerkenswerten Mannes. In diesen Tagen vertraute er mir auch an, daß er keinerlei Schwierigkeiten darin sehe, den zweiten Rang in einer wiedervereinigten Kirche einzunehmen. Wir verabschiedeten uns voneinander wie zwei sehr alte Freunde. Einige Zeit später verbrachte Athenagoras zwei Monate in der Umgebung Wiens, um sich hier einer medizinischen Behandlung zu unterziehen, was uns die Gelegenheit gab, einander sehr gut kennenzulernen. In der Folge sind wir einander mehrmals begegnet."(6)
Dass Patriarch und Kardinal nicht allein Smalltalk betrieben, sondern auch theologisch substantiell miteinander diskutierten, lässt allein die Bemerkung zum Primat erahnen. Ziel Kardinal Königs war es offensichtlich einen Weg zur Überwindung der Kirchentrennung zwischen Ost und West zu lancieren, und dies Jahre vor den offiziellen Versöhnungsgesten zwischen Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I. in den Jahren 1964 und 1965.
Wenige Tage nach seiner Heimkehr informierte Kardinal König den vatikanischen Kardinalstaatssekretär Cicognani. Die Information zum Besuch beim Ökumenischen Patriarchen erwähnt König aber geradezu beiläufig:
"Nach Rom machte ich einen Halt in Istanbul, um dort die österreichische Schule St. Georg zu besuchen, ein schon lange vorgesehener Besuch. Während meines Aufenthalts unternahm ich auch einen Privatbesuch bei Patriarch Athenagoras, der mich mit großem Wohlwollen empfing und mir sein besonderes Interesse an der Person des Heiligen Vaters bekundete." (7)
Mehr als die Erwähnung eines "Privatbesuchs" erachtete Kardinal König als nicht berichtenswert für das Staatssekretariat. In diesem Schreiben klingt das eher so, als wäre König kurz auf einen Kaffe vorbeigekommen und nicht, dass die beiden drei Tage miteinander verbrachten, geschweige denn, dass Patriarch Athenagoras Kardinal König bis auf den Flughafen begleitete.
Ab seinem Besuch im Phanar waren Patriarch Athenagoras und Kardinal König in freundschaftlichen und durchaus vertrauten Briefaustausch, der sich auch immer wieder der persönlichen Übermittlung des Wiener orthodoxen Bischofs und späteren Metropoliten, Chrysostomos Tsiter, bediente.
Einladung nach Österreich und Deutschland
Dass die berühmte Konzilsachse Wien-München-Köln, d.h. zwischen den Konzilsvätern und Kardinälen Franz König, Julius A. Döpfner und Josef Frings, bereits in der Vorbereitungsphase des Zweiten Vatikanischen Konzils funktionierte, zeigt sich auch im Bemühen um einen Besuch des Ökumenischen Patriarchen nach Österreich und Deutschland.
Schon am 7. März 1962 schreibt Franz König erneut an Patriarch Athenagoras. Er habe sich während seines letzten Aufenthaltes in Rom, d.h. bei Kommissionssitzungen zur Vorbereitung des Konzils, mit den Kardinälen von Köln und München ausgetauscht. Nun spreche er gegenüber dem Ökumenischen Patriarchen, "nicht nur in meinem Namen, sondern auch im Namen der beiden Deutschen Kardinäle" (8), die Einladung zu einem offiziellen Besuch nach Österreich und Deutschland aus. Auch die österreichische Bundesregierung wäre sehr erfreut, würde die Einladung angenommen werden. Als Datum schlug König den Juli 1962 vor und fügte hinzu, dass alles über Wien organisiert werden würde und er selbst den Patriarchen nach München und Köln begleiten werde.
Auch wenn der Ökumenische Patriarch in seinem durch Bischof Chrysostomos Tsiter übermittelten Antwortbrief vom 12. April 1962 die Einladung mit großem Bedauern ablehnen musste, weil er sich zum gegebenen Zeitpunkt nicht von seinem Sitz in Istanbul entfernen könne, kommt das nunmehrig sich anbahnende erfreuliche ökumenische Klima auch in der Wortwahl des Briefwechsel zum Ausdruck. (9)
Kardinal König hatte also bereits wenige Monate nach seinem Besuch im Phanar die Weichen für einen Besuch des Ökumenischen Patriarchen in den katholischen Erzdiözesen von Wien, München und Köln gestellt und war diesbezüglich auch mit offiziellen Regierungsstellen Österreichs in Kontakt getreten.
Dass der Patriarch letztlich nicht kommen konnte, hat mit Spannungen und Schwierigkeiten mit der türkischen Regierung zu tun, auch wenn der Patriarch dies nicht expressis verbis in seinem Schreiben ausdrückte. Die Türkei hatte vor dem Hintergrund der griechisch-türkischen politischen Realität, die vor allem im Zypernkonflikt seinen konkreten Ausdruck fand, kein Interesse, aufgrund der Spannungen im östlichen Mittelmeerraum dem Patriarchen eine international offizielle Bühne zu geben.
Dies zeigte sich deutlich auch bei einem zweiten Versuch im Jahr 1967, Patriarch Athenagoras nach Wien einzuladen, auf den abschließend noch eingegangen werden soll.
Konstantinopel, Wien und London
Keineswegs war Kardinal König allein mit orthodoxen Christen in Kontakt. Durch seine Offenheit und seinen ökumenischen Horizont, hatte er auch beste Beziehungen zu den Kirchen der Reformation. Er war mit den Konzilsbeobachtern der Kirchen der Reformation ebenso in Kontakt, wie mit Vertreten derer Kirchenleitungen. So gewann er nicht nur theologische Einsichten und neue Perspektiven, die für das Konzil von Wichtigkeit waren, sondern hatte immer auch ein Mehr an Information. Dies zeigt sich auch an unerwarteter Stelle, nämlich im Zusammenhang des geplanten, letztlich aber abgesagten Wienbesuchs von Patriarch Athenagoras im Jahr 1967.
Mit 11. März 1967 hatte die Universität Wien beschlossen, dem Ökumenischen Patriarchen das Ehrendoktorat der juridischen Fakultät zu verleihen. Daraufhin entwickelte sich eine intensive Korrespondenz zwischen der Erzdiözese Wien - in deren Kontext die von Kardinal König gerade etwas mehr als zwei Jahre davor neu gegründete Stiftung PRO ORIENTE involviert wurde - und dem Ökumenischen Patriarchat, der Universität Wien, der österreichischen Bundesregierung und dem Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen im Vatikan. (10)
Wie sich aus den Quellen erschließen lässt, verliefen die Vorbereitungen äußerst detailliert. Aufgrund des Ehrendoktorates wurde der Ökumenische Patriarch offiziell von der österreichischen Bundesregierung eingeladen. Die Ankunft des Patriarchen war für 14. November 1967 Mittag geplant, mit anschließendem Besuchen bei Kardinal König und Abendessen bei Bundeskanzler Josef Klaus. Am darauf folgenden Tag sollte der Festakt an der Universität Wien stattfinden mit nachfolgendem Mittagessen bei Bundespräsident Franz Jonas. Für den Abend war ein ökumenischer Wortgottesdienst mit Kardinal König vorgesehen und am nächsten Tag, neben einem offiziellen Mittagessen im erzbischöflichen Palais, ein Empfang beim Bundesminister für Unterricht, Theodor Piffl-Perevi. Letzterer wirkte bekanntermaßen ab 1969 als langjähriger Präsident der Stiftung PRO ORIENTE. Ein Kanzelwort des Erzbischofs von Wien, das in allen Pfarrkirchen der Erzdiözese Wien aus Anlass des Besuchs des Ökumenischen Patriarchen verlesen werden sollte, war ebenso ausformuliert, wie die offiziellen Einladungen bereits ausgesendet, die Programme verteilt und das Liturgieheft für den ökumenischen Wortgottesdienst fertig gedruckt.
Am Tag vor der geplanten Ankunft, dem 13. November, sagte der Ökumenische Patriarch mittels eines Telegramms ab. Darin führte der Patriarch nicht aus, warum es nicht möglich war, nach Wien zu kommen.
Allerdings erhielt Kardinal König umgehend, datiert mit 15. November, einen vertraulichen Brief des Erzbischofs von Canterbury, dem Oberhaupt der anglikanischen Kirchengemeinschaft, Michael Arthur Ramsey. Daraus wird nicht nur ersichtlich, dass der Ökumenische Patriarch aus politischen Gründen nicht kommen konnte, sondern auch, wie der angekündigte Wienbesuch des Patriarchen in der Ökumene beobachtet wurde.
Michael Ramsey war zweifelsohne einer der anglikanischen Visionäre der kirchlichen Einheit. Er sah die anglikanische, die orthodoxe und die katholische Kirche in einer direkten Beziehung zueinander und beobachtete die Annäherung zwischen Rom und Konstantinopel mit ebenso hohem Interesse wie großer Freude. Erzbischof Ramsey hatte Patriarch Athenagoras bereits 1962 im Phanar besucht. Unmittelbar vor dem geplanten Wienaufenthalt, vom 9. bis 14. November 1967, fand der Gegenbesuch des Patriarchen in London statt. Damit betrat erstmals in der Geschichte ein Ökumenischer Patriarch Großbritannien.
Warum konnte nun der Patriarch nach London und nicht nach Wien? Der Brief von Erzbischof Ramsey an Kardinal König gibt Aufschluss darüber. (11) Ramsey berichtet König zunächst, dass der Ökumenische Patriarch in England nicht nur Anglikaner traf, sondern auch die Gelegenheit hatte, viel Protestanten und römische Katholiken zu treffen.
Ferner schreibt er, dass die plötzliche Absage des Ökumenischen Patriarchen für Kardinal König und Österreich eine große Enttäuschung gewesen sein muss. Aber, so weist Ramsey weiter hin, Kardinal König kenne sicher die permanenten Schwierigkeiten und Schikanen, denen der Ökumenische Patriarch von Seiten der türkischen Autoritäten ausgesetzt sei. Dennoch bewahre der Patriarch seine große Würde und ertrage alle Demütigen in Stille für seine Kirche in der Hoffnung, dass der Sitz des Patriarchates in Istanbul verbleiben könne.
Für Kardinal König möge es interessant sein, so Ramsey, dass die türkischen Autoritäten auch versucht hatten, den Englandbesuch zu verschieben. Die anglikanische Kirche habe aber Widerstand geleistet und auch viele Vorkehrungen getroffen, um den kirchlichen Charakter des Besuchs als Treffen zwischen dem orthodoxen und dem anglikanischen Kirchenoberhaupt darzustellen. Jegliche politische Implikationen wurden im Vorfeld vermieden. Dennoch sei es trotz der türkischen Einsprüche gelungen, dass er als Erzbischof von Canterbury den Ökumenischen Patriarchen in den Buckingham Palace zu Königin Elizabeth II. begleiten konnte. Allerdings habe er es vor diesem Besuch als klug erachtet, die Pläne der britischen Regierung, den Patriarchen zu einem Staatsbankett einzuladen, abzulehnen. Er, Michael Ramsey, habe auch seinen Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten, Bischof John Satterthwaite veranlasst, noch am 13. November die österreichische Botschaft in London zu kontaktieren, um sie bezüglich der Schwierigkeiten mit der türkischen Regierung zu warnen. Der zuständige Mitarbeiter der österreichischen Botschaft sei unverzüglich zu ihm gekommen, um die weitere Vorgangsweise für einen Besuch des Ökumenischen Patriarchen in Wien, trotz der Widerstände der türkischen Regierung, zu besprechen.
Das Problem beim anvisierten Österreichbesuch war das hohe Profil, denn letztlich war es die österreichische Bundesregierung, die einlud. Ebenso waren Empfänge bei Bundeskanzler und Bundespräsident vorgesehen. Die Anglikaner hatten den kirchlichen Charakter der Visite des Ökumenischen Patriarchen hervorgehoben, was den Erzbischof von Canterbury nicht daran hinderte, den Ökumenischen Patriarchen dennoch, wenn auch sozusagen privat, zur Königin zu geleiten.
Dass es der anglikanische Primas ist, der Franz König schreibt, zeigt, dass der Wiener Kardinal spätestens zu diesem Zeitpunkt eine zentrale Persönlichkeit der weltweiten Ökumene geworden war.
In seinem Antwortschreiben bedankt sich Kardinal König für den ausführlichen Bericht (12) und erwähnt, dass er am Tag vor der Absage von der österreichischen Botschaft informiert wurde, dass auf den Ökumenischen Patriarchen Druck ausgeübt werde, er wusste aber nicht, dass auch versucht worden war, den Besuch beim Erzbischof von Canterbury zu verhindern. König zeigte sich sehr dankbar für die Zeilen Ramseys und fügte sogleich hinzu, dass er, sollte er in nähere Zukunft nach England kommen, nicht verabsäumen werde auch den Erzbischof von Canterbury zu besuchen. Wie er auch hoffte, dass es ihm alsbald möglich sein werde, das anglikanische Kirchenoberhaupt in Wien willkommen heißen zu können.
Conclusio
Visionäre Kirchenoberhäupter wie Kardinal König waren und sind fähig, sich auf kurzem Wege und über Konfessionsgrenzen hinweg einander auszutauschen. Kardinal König hatte so wesentlich zur Annäherung von Orthodoxer und Katholischer Kirche beigetragen und nicht zuletzt auch zur sogenannten "Aufhebung" der Exkommunikationen von 1054. Dass er daher bei diesem historischen ökumenischen Akt am Papstaltar Augenzeuge werden darf ist daher keineswegs Zufall.
Kardinal König hatte nicht die geringste Scheu, Wien zu einer Drehscheibe der Ökumene jenseits des Vatikans zu machen. Er wusste vom Wert der informellen Beziehungen und der Bedeutung der Freundschaften unter den Kirchenoberhäuptern. Er war ein begnadeter Netzwerker im Hintergrund, ohne öffentliche Profilierungssucht, jedoch mit der ehrlichen und herzlichen Absicht einen ökumenischen Beitrag für die Weltkirche zu leisten. Aufgrund seiner wissenschaftlichen und theologischen Kompetenz wie auch seiner gewachsenen Stellung im Weltepiskopat, übernahm er jene notwendige Eigenverantwortung, die man von Bischöfen erwarten darf. Nicht alles war in Rom nachzugfragen.
Das sollte wir uns auch heute zum Vorbild nehmen. Ökumenischer Dialog kann nicht alleine auf theologische Diskussion reduziert werden. Dazu braucht es nicht nur Geduld und Beharrlichkeit, sondern auch Mut zur Eigeninitiative, Offenheit, Vertrauen, Verstehen der anderen Tradition und insbesondere den Willen zum Dialog.
Anmerkungen: (1) König, Das Vaticanum II - wegweisend für die Zukunft der Kirche 132. (2) Vgl. für die folgenden Dokumente: Kardinal-König-Archiv, 604/61 (Athenagoras Korrespondenz 1961-1967). (3) Brief Kardinal König an Patriarch Athenagoras (8. August 1961, Englisch, Übers. Dietmar W. Winkler). (4) Brief Patriarch Athenagoras an Kardinal König (21. August 1961, Griechisch/Deutsch). (5) Brief Kardinal König an Patriarch Athenagoras (31. Oktober 1961, Englisch, Übers. Dietmar W. Winkler). (6) König, Glaube ist Freiheit 185f. (7) Brief Kardinal König an Staatssekretär Cicognani (6. Dezember 1961, Französisch, Übers. Dietmar W. Winkler). (8) Brief Kardinal König an Patriarch Ahenagoras (7. März 1961, Englisch, Übers. Dietmar W. Winkler). (9) Brief Patriarch Athenagoras an Kardinal König (12. April 1962, Griechisch/Deutsch). (10) Vgl. Kardinal-König-Archiv, Besuch Patriarch Athenagoras November 1967. (11) Brief Erzbischof Michael Ramsey an Kardinal König (Lambeth Palace London, 15. November 1967, Englisch, Übers. Dietmar W. Winkler). (12) Brief Kardinal Franz König an den Erzbischof von Canterbury Michael Ramsey (Wien, 6. Dezember 1967).